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Wie ich die Engel entdeckte

Erschienen ungarisch in Antropozófia 4/2014

 

Wie ich die Engel entdeckte

Emil Páleš

Es war persönliche mystische Erfahrung, die mich zum Thema Engel geführt hat. Trotzdem dass ich in einem Staat und Familie ohne Religion aufwuchs, quellte Religiosität rein aus meinem Inneren. Ich erlebte eine Anwesenheit von edlen, erhabenen Wesen, die auf mein besseres ich hinwiesen. Nun aber studierte ich die Wissenschaft ebenso ernst wie die alten religiösen Überlieferungen. Es wurde mir zur Aufforderung: wie kann beides zusammengehen? Entstehen meine Erfahrungen durch die Aktivität meines eigenen Unterbewusstseins – oder kommuniziere ich wirklich mit unabhängigen Intelligenzen?

Meine Frage wurde zu einer systematischen Forschung von Offenbarung in der Weltgeschichte, die jetzt seit 30 Jahren dauert. Was haben die Propheten, Denker, Künstler oder Könige erlebt, wenn sie von ihrer Eingebungen, Visionen, Inspirationen der Engel, Götter oder Vorfahren berichteten? Wo, wann und von welchen inspirierten Inhalten genau sprach man?

Alle Hochkulturen hatten irgendeine Lehre von den Zeitgeistern. Man glaubte an Zeitalter, die von geistigen Wesen verschiedener Qualität verwaltet worden sind. Johannes Trithemius (1462-1516), der Abt im Kloster von Sponheim, schrieb eine alte Überlieferung nieder über sieben Erzengel, die Zeitalter von je 354 Jahre und 4 Monate in der Weltgeschichte zyklisch inspirieren. Eine ältere schriftliche Erwähnung derselben Lehre ist schon beim jüdischen Gelehrten Abraham ibn Ezra (1089-1164) zu finden. Die qualitative Struktur der Zeit beruhend auf der Siebenzahl ist eine uralte Idee, die aus Altbabylonien stammt. Die sieben Erzengel des Christentums waren mal die babylonische Siebengottheit der Planetenintelligenzen. Geistige Wesen der sichtbaren Himmelskörper Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn – also Sin, Nabu, Ištar, Šamaš, Nergal, Marduk, Ninurta – wurden zu den Erzengeln Gabriel, Raphael, Anael, Michael, Samael, Zachariel, Oriphiel.

Rudolf Steiner arbeitete mit den trithemischen Zeitgeistern von 354 Jahren und auch mit den großen Zeitaltern von 2160 Jahren, die mit Sternzeichen zusammenhängen. Da übernahm er die Resultate der Assyriologen seiner Zeit, wonach der ägyptische Kalender im Jahr 747 v. Chr. mit dem Widderzeitalter neu begonnen hat. Als Kenner der klassischen Astrologie wusste ich, dass auch kleinere Teilchen des Himmelsgewölbes ihre Herrscher haben. Nicht nur Sternzeichen, aber auch Abschnitte von zehn Grad (Dekane) sowie auch jeder Bogengrad des Tierkreises hat sein Engelwesen zu einer der sieben Sphären gehörend. Planeten sind zu Bogengraden in der chaldäischen Ordnung – von Mond bis Saturn – zugeordnet. Da ein Bogengrad in der Präzessionsbewegung der Erdachse 72 Jahre dauert, ergeben sich daraus kleinere Zeitgeister von 72-jährigen Perioden. Rudolf Steiner erörtert die kleinen Zeitgeister zwar nirgendswo ausdrücklich, mehrmals beschreibt er aber geistige Impulse die zeitlich und inhaltlich mit deren Ordnung übereinstimmen.

Die Reihenfolge der kleineren Zeitgeister ist Gabriel, Raphael, Anael, Michael, Samael, Zachariel, Oriphiel. Die Reihenfolge der größeren Zeitgeister ist anders: Gabriel, Michael, Oriphiel, Anael, Zachariel, Raphael, Samael. Derselbe kleine Zeitgeist kehrt jede 7 x 72 = 504 Jahre zurück. Der große Zeitgeist jede 7 x 354⅓ = 2480 Jahre.

Genaue Zeitangaben der Engelherrschaften und ihre Regelmäßigkeit erlaubte mir eine wissenschaftlich testbare Hypothese zu formulieren. Falls es diese Wesen wirklich gibt, dann müssen wir notwendigerweise in der Weltgeschichte periodische Wellen der Kreativität in entsprechenden Kulturbereichen beobachten können. Zum Beispiel berühmte Ärzte in den Zeitaltern von Raphael, weil er der Patron der Medizin ist. Berühmte Philosophen in den Zeitaltern von Michael, weil er ein Inspirator der Philosophie ist usw.

Meine Kollegen an der Slowakischen Akademie der Wissenschaften waren sicher, dass es dem ähnliche Rhythmen nicht gibt. Weil es keine Engel gibt, kann es die Rhythmen nicht geben und es wäre eine Zeitverschwendung es überprüfen zu wollen. Ich habe es trotzdem gemacht und Rhythmen gefunden. Und zwar genau die Rhythmen, die in der Engellehre vorausgesagt worden sind. Die Priester Babyloniens und Ägyptens haben Geschichte auf Jahrtausende vorausgesagt, was ich jetzt retrospektiv bestätigen konnte.

Um sicher zu gehen, dass ich es mir nicht nur subjektiv einbilde, haben wir mathematisch-statistische Methoden auf unabhängige Daten angewandt. Es zeigte sich, dass sich dieselben Rhythmen sogar in den eigenen Werken der ärgsten Opponenten befinden. So zum Beispiel ein Professor der Philosophie, der den michaelischen Rhythmus in der Philosophiegeschichte kategorisch verneinte – es befand sich aber sehr klar auch im Lexikon der Philosophie, dessen Autor er selbst war. Solche Tatsachen versetzten manche in blinde Wut und es führte zu einem Kriegszug unter manchen Kollegen mit der Absicht ein Verbot zu erzielen, dass ich an den Universitäten nicht vortragen darf. Heute beruht meine Angelologie der Geschichte an mehreren Hunderten von unabhängigen Studien renomierter Spezialisten aus der ganzen Welt. Die gesuchten Rhythmen der Kreativität fanden sich weltweit in vielen (obwohl nicht allen) Kulturbereichen.

Nach der babylonischen Weisheit beherrscht Venus den 25° Fische. Also soll die Göttin der Liebe den 72-jährigen Zeitabschnitt zwischen 1773-1845 als kleinerer Zeitgeist inspirieren. In der Tat, es ist die Romantik! Treffender kann man es nicht ausdrücken, als dass es eine Venus-Zeit war. Venus beherrscht weiter den 3°, 10°, 17°, 24° Widders. Es gab eine Romantik im 13. Jahrhundert, zur Zeit der Minnesänger und der höfischen Liebe, sowie auch im 8., 3. Jahrhundert und 3. Jahrhundert v. Chr. und früher. Es geschah periodisch alle 500 Jahre und synchron in entlegenen Zivilisationen. Die Zeiten der romantischen Entzückung sind dieselben in Europa, Persien, Indien, China. Die berühmteste lyrische Dichter, Musikkomponisten oder Liebespaare der Welt sind Zeitgenossen gewesen. Die Plejade der großen Komponisten um das Jahr 1800 ist nur die letzte Wiederkehr eines uralten Rhythmus.

In Mesopotamien kannte man dieses Wesen und sein Rhythmus unter dem Namen Inanna/Ištar und man sah es im Licht des Abendsternes verkörpert zu sein. Dasselbe Wesen wurde im Ägypten als Hathor und im Westen als Venus oder Aphrodite bekannt. Inkarnationen der Sarasvati, der Göttin der schönen Künsten in Indien, übereinstimmen mit demselben Rhythmus. Schon im 23. Jahrhundert v. Chr. wurde Inanna, laut der Mythen, zur Königin des Himmels erhoben. Ihren Schützling Sargon hat sie dann zum König vom Akkad gemacht und zugleich den Pepi I. zum Pharao in Ägypten. Als die Göttin um das Jahr 220 wieder zum mächtigen Zeitgeist wurde, abbildete sich der römische Kaiser Alexander Severus mit der Venus auf seiner Münze. Sein Zeitgenosse, der persische Großkönig Ardaschir I. hat dasselbe mit der Göttin Anahita gemacht um klarzumachen, dass die Severiden ebenso wie die Sassaniden ihren Aufstieg dem weiblichen Zeitgeist verdankten. Ablösung der Zeitgeister spiegelt sich fast überall: in den Sagen, in der Symbolik, Heraldik, Numismatik, Kunst, im offiziellen Kult, in der Ideologie, in der Gesellschaftsorganisation. Die Alten sprachen sehr klar und explizit vom Wandel der Zeitgeister.

Natürlicherweise haben weit entlegene Kulturen für dieselben spirituellen Wesen andere Namen, für dieselben Erfahrungen andere Worte gehabt. Nehmt man zum Beispiel die Sonnengötter, so war es im Griechenland der Apollo, Re in Ägypten, Šamaš in Mesopotamien, Surya in Indien usw. Alle haben aber etwas gemeinsam: sie verkörpern das Licht der Erkenntnis, Weisheit, Wahrheit. Sie sind allsehend, allwissend, gerecht, sieghaft über die dunklen und falschen Triebe. Hinter all diesen verbirgt sich das eine Sonnenwesen, das uns mit der Denkkraft beschenkt hat – Erzengel der Sonne, Michael. Deswegen stimmen die Blütezeiten der Philosophie oder Logik – sei es die westliche, indische oder chinesische – mit den Michael-Zeitaltern überein.

In dem großen Michael-Zeitalter seit 600 v. Chr. traten die bedeutendsten Religionsstifter und Denker überall in der alten Welt mit ähnlichen Gedanken auf: der Mittlere Pfad, Freiheit und Verantwortung des Individuums u. a. Demokratien entstanden zugleich von Rom bis zu Indien. Der damalige Einschlag des Michaels ist so auffallend, dass es bekannt wurde als die Achsenzeit, von Karl Jaspers so genannt.

Worüber spricht Buddha, wenn er sagt, dass das Rad des Dharma einmal in 25 Jahrhunderten eine Runde macht und jedesmal ein neuer Buddha in die Welt kommt? Buddhas, also die Aufgewachten, die Erleuchteten, gibt es um 5500, 3000, 500 v. Chr., 2000 n. Chr. usw. Ja, Buddha spricht über den „christlichen“ Erzengel Michael, über die Michael-Zeitalter aus dem Kreis der großen Zeitgeister. Es sind intersubjektive Erfahrungen, die gemeinsam dem kollektiven Unbewussten der Menschheit sind und die engherzige Beschränkungen der kirchlichen Religionsformen überragen.

Zur Angelologie gehört allerdings auch die Dämonologie. Dämonen sind gefallene Engel. Jeder Erzengel hat seinen Gegner, einen Erzdämon. Zugleich mit dem Zeitgeist bekommt auch der jeweilige Dämon eine Chance, um Fuß zu fassen in der menschlichen Seele. Erzengel ist das Urbild, Dämon immer ein Zerrbild. Die himmlische Schlacht findet statt und entscheidet sich letztendlich im unseren Inneren, im Kampf der Tugenden und Laster. Die sieben Todsünden der mittelalterlichen Kirche wurden von den sieben Dämonen oder von dem siebenköpfigen Teufel angeregt.

Die moderne Psychologie spricht jetzt wieder über Intelligenzen, die den Urbildern der alten Astrologie entsprechen und von denen es etwa sieben gibt (nach Howard Gardner): Die logisch-abstrakte Intelligenz (Sonne), verbale Intelligenz (Merkur), Raumintelligenz (Jupiter), emotionale Intelligenz (Venus), kinästhetische Intelligenz (Mars), intrapersonelle Intelligenz (Saturn) und Natur-beobachtende Intelligenz (Mond). Und die Dämonen des Mittelalters? Die finden wir auch nahezu treffend beschrieben im internationalen Manual der Persönlichkeitsstörungen (DSM). Hysterie (Mond), Narzissmus (Venus), Paranoia (Jupiter), zwanghafte (Saturn) oder schizoide (Merkur) Persönlichkeitsstörungen.

Auch die Dämonen hatten ihre persönlichen Namen. Dämon unserer Zeit ist der Mephisto, mit dem schon Faust zu tun haben sollte. Samael wird oft als der gefallene Erzengel erwähnt, weil der Dämon der Marssphäre (Asmodeus, Satan) außerordentlich vernichtend und schwer zu zähmen ist. Psychologisch ist das die asoziale oder antisoziale Persönlichkeitsstörung, die sich durch Aggressivität und Abwesenheit vom Mitgefühl und Gewissen auszeichnet. Kein Wunder, dass viele Zivilisationen diesen Teufelsrhythmus gekannt und beschrieben hatten, da sie erfahren mussten, wie Dynastien jede 500 Jahre im Mars-Zeitalter im Blut ertranken. In China war das allgemein bekannt, dass alle 500 Jahre die Götter das Mandat des Himmels dem Kaiser entziehen, eine Dynastie geht zugrunde und eine neue entsteht. In Mesopotamien und Ägypten geschah dasselbe und man schrieb dies den verheerenden Göttern Nergal und Seth zu, wobei man erkannte, dass es sich um dieselbe Wesenheit handelt.

Nun, die moderne Welt glaubt nicht mehr an Götter, was ihr aber nichts hilft. Dieselben Engel- und Dämonenkräfte mit ebengleichen Kraft durchstürmen die gegenwärtige Gesellschaft wie seit jeher. Nur desto schlimmer, dass wir uns dessen nicht mehr bewusst sind. Noch nie sind so viele Menschen geschlachtet worden als während der letzten Wiederkehr des Marsdämons im 20. Jahrhundert, während der zwei Weltkriege und der radikal-totalitären Regimen des Nazismus und Kommunismus.

Säkulare Bewegungen der Neuzeit enthalten tief verkappte religiöse Antriebskräfte. Alle haben wir dieselben unterbewussten Erfahrungen, nur werden diese im atheistischen Kontext anders dargelegt. Zwei Tausend Jahre lang wies die Kreativität der Alchemisten einen Anael-Rhythmus auf, zum Beispiel. In der Neuzeit machten die Begründer der modernen Chemie im denselben Rhythmus weiter. Mendelejew träumte das Periodensystem der Elemente. Dem Kekulé erschien sogar die alte Schlangengottheit der Alchemisten, der Ouroboros. Dank dieser Vision begriff er die Benzenstruktur, womit er die Tür zur organischen Chemie öffnete. In den alten Zeiten würde man dies sicher als Eingebung der Götter verstehen. In der Neuzeit spricht man nur vom Zufall oder einer geheimnisvollen Aktivität des Unterbewussten.

Die Götter unserer Vorväter wirken weiter, nur verwandelten sie sich in Gedankenströmungen. Psychologisch werden sie anders erlebt. Sie erscheinen uns nicht mehr in Bildern von außen, aber treten vom Innen auf als (vermeintlich) unsere eigene Gedanken. Sie machen aber mit denselben Rhythmen weiter. Die uralte Mysterien Raphaels und Oriphiels existieren weiter im Liberalismus und Konservativismus; die ursprünglichen Inspirationen der Mond- und Sonnengötter streiten ewig weiter als die politischen Linken und Rechten.

Scheinbar rationale Begründungen denkt man immer welche hinzu – sie stellen aber nicht die bewegende Ursache dar. Die Oberfläche des kollektiven Bewusstseins wird von tiefen Kräften und Strukturen bewegt, die wir nicht mehr handhaben. Wir verstehen nicht mehr, warum wir etwas tun und warum Dinge um uns geschehen. Dieser Mangel an Selbsterkenntnis öffnet Freiraum für Manipulationen und das Wirken des Bösen.

Das gegenwärtige Michael-Zeitalter hat – wie immer – Demokratisierung mit sich gebracht. Zeichnen wir die etwa 600 republikanische Regime in der Weltgeschichte auf eine Zeitachse auf – es erscheint vor unseren Augen der Rhythmus des Michaels. Wenn aber nun die Inspiration des Zeitgeistes nur verschwommen geahnt wird, anstatt sein Wesen bewusst zu erkennen, kommt es zwar formal zu einer Demokratie, faktisch aber zum Chaos und das ganze System wird zum Instrument der bösen Kräfte. Äußere Demokratie gebraucht ihren inneren Pol in den Tugenden der Sonnenhelden, die Michael vorbildlich darstellt. Ohne Selbstüberwindung, innere Freiheit, Mut zur Wahrheit und Urteilskraft gibt es keine Demokratie oder nur eine scheinbare. Dies wichtigste hört aber keiner aus dem Mund der politischen Repräsentanten.

Geistige Arbeit an uns selbst ist kein fakultatives Hobby für ein Paar interessierte. Alle politische, ökonomische, wissenschaftliche und andere gesellschaftliche Tatsachen hängen an unsichtbaren seelischen Fäden. Unser Schicksal nährt sich an unsichtbaren geistigen Strömen, aus denen es gesund oder krank, rein oder verdorben auswächst. Sich selbst zu erkennen heißt Engel und Dämonen erkennen in ihrer objektiven Wirkungsweise in uns und um uns in der Welt.

Das Studium der Weltgeschichte ermöglicht uns wiederkehrende Werte- und Handlungsmuster in weit verschiedenen Zivilisationen und Zeitperioden zu vergleichen. Das zufällige fällt dabei ab und das gemeinsame kommt zum Vorschein. So destillieren wir heraus die reine jungsche Archetypen – Elementarkräfte der Seele. Diese zu identifizieren ist für die Selbsterkenntnis ebenso wichtig, wie es für Chemie die Entdeckung der reinen Elemente war.

 

Emil Páleš: Angelologie der Geschichte. Synchronizität und Periodizität in der Geschichte. Band I., II., 1032 Seiten. Sophia, Bratislava, 2004, 2012. (nur Slowakisch und Tschechisch)

Emil Páleš: Die Sieben Erzengel. Rhythmen der Inspiration in der Natur- und Kulturgeschichte. 160 Seiten. Sophia, Bratislava, 2007. (Deutsch und Englisch)