Hagal 4/2004
Auf eine außerordentlich merkwürdige Weise, gleichsam in einem mehrfachen Akkord, erklangen in der Zeit um das Jahr 1600 herum die Motive der Nacht und der schwarzen Farbe in der Geschichte der Malerei, der Literatur und der Bekleidung. Wenn wir die Charakteristik des zeitlichen Augenblicks um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts begreifen wollen, müssen wir ein Auge auf jene Synchronizität werfen. Aus der Zeit zu Beginn des 17. Jahrhunderts stammen Gemälde, welche fast auf der ganzen Fläche schwarz sind. Die Gestalten treten aus dem Halbdunkel oder aus der tiefen schwarzen Nacht hervor und sind durch ein dramatisches Wechselspiel von Licht und Schatten beleuchtet. Ein dichter Hell-Dunkel-Kontrast herrscht auf den Bildern von Caravaggio, Rembrandt, Vélazquez und anderen vor. Diese Maler führten das Dramatische und die Spannung in die Malerei ein. In der selben Zeit wie sie wirkten aber auch die größten Dramatiker der Welt – Shakespeare, Lope de Vega, Corneille.
Ein großer französischer Meister der Hell-Dunkel-Malerei war Georges de la Tour. Kein anderer Maler der Geschichte hatte das Gesicht der Nacht so meisterhaft erfasst wie er. Seine „Nocturnos“ sind blendend schön. Die Szenen auf seinen Bildern spielen sich im nächtlichen Halbdunkel, beim Licht von Kerzen oder Laternen ab, in einer Atmosphäre von absoluter Stille. Die Nacht umschlingt, liebkost, umhüllt, reißt einen aus dem Chaos der von Lärm und Geschrei durchdrungenen Welt heraus; sie lenkt unsere Gedanken den grundlegenden Fragen und unserem eigenen Inneren zu. Die Gestalten sind gleichsam in Meditation versunken. Obwohl es in dieser Malerei um eher prosaische Situationen geht, rufen sie ungeachtet dessen, das Gefühl von geheimnisvollen, wunderbaren Ereignissen hervor. Es ist uns, als begegneten wir etwas ungemein Feinem und gleichzeitig Mächtigem, Ursprünglichem, Ewigem und Unwandelbarem. De la Tours Welt ist konzentriert, statisch, spärlich und in eine unbestimmte Trauer getaucht. Die Menschen sind ernst, abgehärtet, arbeitsam und wortkarg.
In der Zeit, als Caravaggio das erste Mal einen Pinsel in die Hand nahm, schrieb der Heilige Johannes vom Kreuz sein Buch über die dunkle Nacht. Das Bild der tiefen Nacht kehrt in diesem Hauptwerk der spanischen Mystik unentwegt wieder und vertieft sich unaufhörlich. Es ist die Nacht der Sinne und die Nacht des Geistes, während derer die Seele die geheimnisvollen Stufen der Kontemplation emporsteigt.
Der heilige Johannes vom Kreuz entdeckte ein großartiges, suggestives Symbol, mit welchem er die Erfahrung des Mystikers an der Schwelle seiner Einweihung ausdrückt. Kurz vor dem Eintreten in die höhere Welt muss der Mystiker das Erlebnis von innerer Dunkelheit, Stille und Leere erfahren. Er erlebt eine dem Tode oder der tiefen inneren Dunkelheit ähnliche Erschöpfung der Seele und es ist ihm, als ob er einen Irrweg gegangen wäre. Das Geheimnis dieser Nacht ist jedoch, dass Gott verborgen in ihr wirkt und die Seele verwandelt. Er wandelt die Geschenke und Kräfte der Sinne in Geschenke und Kräfte des Geistes um.
Wir befinden uns in einer Zeit, in welcher Schwarz die beliebteste Farbe in ganz Europa war. Warum? Was sind die psychischen Wirkungen des Schwarz? „Gleichsam wie ein Nichts nach dem Erlöschen der Sinne, wie ein ewiges Schweigen ohne Zukunft und Hoffnung klingt innerlich das Schwarz“, schrieb einst der Maler Kandinsky. Der Lüschersche Farbentest qualifiziert das Bevorzugen von Schwarz als psychische Hemmung, als Blockade, Unterdrückung der Sinne, Entsagung. Schwarz sind die Gewänder der Mönche und Nonnen; als Zeichen der Askese. Schwarze Kleidung dient der Isolation, dem Schutz vor den Reizen aus der Außenwelt. Das Schwarz erinnert uns an verkohltes Leben, es ist die Farbe des Todes und der Trauer; aber auch die Farbe der düsteren Geheimnisse, der Tabus und der Magie. Es ist die Farbe der alten Leute.
Schwarz bedeutet aber auch Würde, Autorität, Ernsthaftigkeit. Sie eignet sich zu allen ernsthaften und feierlichen Gelegenheiten, wenn hohe, absolute Werte etabliert und vertreten werden. „Schwarz“ nennt man die Anhänger jener politisch konservativen Parteien, die unantastbare heilige Werte vertretenden. Schwarz ist die priesterliche Soutane, der richterliche Talar und der Habit der Ehrenträger der Universität bei feierlichen Gelegenheiten. Die spanische Mode, die gerade damals aufkam und den Ausdruck des katholischen Absolutismus darstellte, bevorzugte dunkle Farben, allem voran das Schwarz. Schwarze Kleidung wurde zur einheitlichen Tracht der Reformation, was in diesem Fall der Ausdruck von strenger Schlichtheit und dem Ablehnen von Luxus war. Man könnte sagen, dass die Menschen um das Jahr 1600 stets wie zu einer Beerdigung gekleidet waren.
In der selben Zeit durchkreuzten die Opritschniks des Zars Ivan des Schrecklichen Russland und verfolgten Verräter - ganz in Schwarz gekleidet, auf einem schwarzen Rappen sitzend, mit schwarzem Pferdegeschirr, traten sie aus dem Dunkel hervor wie die Gestalten auf den Bildern von Caravaggio. So nahmen sie die damaligen Menschen wahr, denen sie Furcht und Schrecken einjagten, und sie nannten sie Kromeschniks (jene, die aus der Dunkelheit heraus treten).
In der Wissenschaft wurden in dieser Zeit die Grundsteine der modernen Geschichtsschreibung, der Mechanik, der Optik und der Astronomie gelegt.
Der aufmerksame Leser hat sicherlich in allen diesen Zeichen der Zeit bereits die Signatur des saturnischen Geistes erkannt. Schwarz ist die Farbe des Saturn. Mit ihrer zentripetalen, isolierenden und die Sinne abtötenden Dynamik hat sie ausgesprochene saturnische Wirkungen. Oriphiel, der Erzengel des Saturn, war gerade in den Jahren 1557 - 1629 (beherrscht den 28º der Fische) tatsächlich der Zeitgeist jener Periode.
Der selbe Erzengel war auch um die Jahre –500, 0, 500, 1000 der 72-jährige Zeitgeist. Das große (354-jährige) oriphielische Zeitalter wirkte das letzte Mal um die Zeitwende und vorher um das Jahr 2500 v. Chr. herum. Die oben aufgeführten Merkmale sind typisch für alle diese Epochen.
Das systematische Malen auf schwarzem Hintergrund war schon einmal in der Geschichte aufgetreten – und zwar in der saturnischen Epoche ab dem Jahre 525 v. Chr.. Die Gestalten des Rotfigurigen Stils (auf schwarzem Hintergrund) auf den griechischen Vasen rufen das selbe Gefühl des inneren, von Dunkelheit umgebenen Lichts hervor wie die Bilder von Rembrandt. Hatten auch die damaligen Griechen jenes seelische Erlebnis eines Johannes vom Kreuz, nämlich umhüllt zu sein von dunkler Nacht? In der griechischen Kunst verbreitete sich der sogenannte Strenge Stil und Äschylos wurde zum gefeiertsten tragischen Dichter. Die Eleaten verleugneten jegliche Bewegung in ihrer Philosophie und erklärten die ewige und unbewegliche Wahrheit in Form der Kugel als das einzige Seiende. Herodotos verfasste seine Geschichtwerke.
Bedeutende Geschichtsschreiber treten schon Jahrtausende lang auf der ganzen Welt in den saturnischen Epochen auf. Beginnend mit Herodotos, dem Vater der Geschichtsschreibung um das Jahr 500 v. Chr., dann Tacitus und die große Welle der römischen Historiker um die Zeitwende, bis zu der Schar der Verfasser von Chroniken um das Jahr 1000 herum. Die großen chinesischen oder indischen Geschichtsschreiber traten, ohne dass sie etwas voneinander gewusst hätten, in der selben Zeit auf wie die Geschichtsschreiber im Westen. Den periodischen Charakter sowie die Synchronizität dieses Rhythmus in verschiedenen Zivilisationen haben wir mithilfe der mathematischen Methoden der Statistik in eigenständigen fachlichen Publikationen eingehend dokumentiert.
Die Astronomen treten gemeinsam mit den Historikern auf, was bei einem Kultur-Anthropologen einige Verwunderung erwecken möge, da er zwischen diesen beiden Wissenschaften gar keinen Zusammenhang sieht. In den letzten Jahrhunderten v. Chr. erstrahlte die griechische Astronomie mit Hipparchos, dem Vater der Astronomie an ihrer Spitze; um das Jahr 500 war es die indische Astronomie angeführt von Aryabhata; um das Jahr 1000 folgte eine Welle von hervorragenden arabischen Astronomen. Und das leuchtendste Dreifachstern der Astronomie – Tycho Brahe, Kepler, Galilei – kam um das Jahr 1600 zusammen. Urania, die Muse der Astronomie und Kleio, die Muse der Geschichtsschreibung sind saturnische Musen. In jeder oriphielischen Epoche näherten sie sich unserer Erde und berührten sie mit ihren Schwingen.
Der Historiker ist ein Mensch, der seine Arbeit in der Seelenverfassung einer Retrospektive des Alters ausführt. Sein Blick richtet sich in die Vergangenheit, zu den Wurzeln, den Ursprüngen und Urprinzipien. Gemeinsam mit ihm wenden sich alle konservativen Gemüter und autoritativen Regimes der Vergangenheit und der Tradition zu. Der Astronom beobachtet den nächtlichen Himmel, er wendet seinen Blick in Richtung der Sphäre, wo die Fixsterne hausen, die für uns das Bild einer vollkommenen Ordnung und der unveränderlichen Ewigkeit darstellen.
Der Amerikaner Lewis Mumford trat mit dem Gedanken an die Öffentlichkeit, dass es die Bewegungen der Himmelskörper und die Himmelsmechanik gewesen wären, welche nicht nur die mechanischen Erfindungen und die Anfänge des Maschinenzeitalters inspiriert hätten, sondern auch die Mechanisierung der menschlichen Gesellschaft. Die Erfindungen und Entdeckungen der Mechanik – von Heron bis Galilei – sowie auch der mechanische Materialismus in der Philosophie – von Leukippos bis Descartes – stehen in tatsächlicher Synchronizität mit den astronomischen Entdeckungen und sind Teil des Rhythmus des Erzengels Oriphiel.
Nach dem selben Rhythmus richten sich auch die markantesten Beispiele des politischen Absolutismus. Die Historiker werden darüber ins Staunen versetzt, dass sich die Welt mit dem Einzug von Oriphiel kurz vor Christus, wie durch den Wink eines Zauberstabs, in ein paar kaiserlichen Imperien mit zentralisierter hierarchischer Struktur vereinigt hatte. Überall breitete sich die Tendenz zur Standardisierung, Uniformität, Fixierung und Unbeweglichkeit aus. „Meine Gedanken auf vergangene, einstmals als ewig erachtete Dinge gewendet... habe ich die Unordnungen entwurzelt... mit einer in alle vier Himmelsrichtungen wirkenden Autorität und mit unbeugsamer strenger Gerechtigkeit... habe ich die Maße und Gewichte vereinheitlicht und präzisiert... habe ich unparteiische Regeln und Verhaltensmuster ausgearbeitet... habe ich die Normen ein für allemal festgelegt“. Diese Worte ließ der erste Kaiser der Qing-Dynastie, der die Vereinigung von China herbeigeführt hatte, in die Felsen von Berggipfeln meißeln. Zwei Völker, die seit jeher den Saturn als ihre Schutzgottheit verehrt hatten – die Römer und die Chinesen – hatten sich damals die Welt untereinander aufgeteilt. Die größten Bauten der Erde – die Pyramiden von Ägypten und Amerika, die europäischen Megalithen oder die Chinesische Mauer – sind das Werk der machtbesessenen saturnischen Monarchen.
Ein oft auftretendes Element der oriphielischen Architektur ist dabei die Kreisform. Diese in sich geschlossene, vollkommene, unübertreffliche geometrische Form, welche Plato „das bewegliche Abbild der Ewigkeit“ nannte, steht in Resonanz mit der Seele der Saturnmenschen. Die Tholoi (Rundbauten) treten in den oriphielischen Epochen regelmäßig auf und haben außerhalb dieser sehr häufig die Funktion von Gräbern. Die prähistorische saturnische Epoche in Europa ist typisch für ihre steinernen Kreise (Kromlechs), deren Form darauf zurückzuführen ist, dass sie als astronomische Observatorien dienten. Sowohl Stonehenge, als auch die Kuppel des römischen Pantheons sind das Abbild des Himmelsgewölbes. Um die Zeitwende wurde die Weltarchitektur dank der römischen Wölbungen und Rotunden, der Kreisstädte der Parther und der indischen Stupen kugelrund. In den romanischen und mozarabischen Bauten kehrte um das Jahr 1000 der Bogenstil erneut wieder. Und um das Jahr 1600 beherrschte – zu unserem Erstaunen wiederum zusammen mit der Astronomie und dem Einzug des Absolutismus in Europa – die Kreisförmigkeit die Mode ganz und gar. Europa begeisterte sich für die spanische Mode, welche ganz nur aus Kugeln, Zylindern und Kegeln bestand, und ihr typischster Ausdruck war die sog. „Kröse“ (runder Rüschenkragen). Der schwarze Zylinder blieb noch für lange Zeit das modische Accessoire der konservativen Gesellschaftsschichten.
Die Erkenntnis über den periodischen Wandel der Zeitgeister ermöglicht es uns, die Renaissance des Bogenstils mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in der angehenden oriphielischen Epoche in den Jahren 2061-2133 vorauszusagen. Diese Behauptung stimmt gut mit der hellseherischen Vision von Rudolf Steiner überein, der in einem seiner Vorträge das Bild von Europa nach dem Jahre 2086 als mit kuppelförmigen Bauten übersäht beschreibt.
Werden unsere Enkel irgend eine Form von Absolutismus und Unfreiheit erfahren? Werden die Menschen im Namen der Ordnung von allein die Einschränkungen von persönlichen Freiheiten fordern, wie es unter der Herrschaft von Oriphiel schon so oft geschah? Auch in saturnischen Epochen ist es möglich, dem Absolutismus auszuweichen; dann aber treten Mönchsbewegungen an seine Stelle. Um das Jahr 1000 waren es die Benediktiner von Cluny – Mönche in Schwarz, welche sich um die Verbreitung des romanischen Stils verdient gemacht hatten – die Europa vor einem potentiellen Weltherrscher gerettet hatten. Europa wurde damals mit Einsiedeleien von Asketen übersäht und etwa ein halbes Dutzend Eremiten-Orden waren entstanden. Hier war es gelungen, die autoritative Strenge und Disziplin, die sich in anderen Fällen als Machtambitionen nach außen projiziert hätte, bewusst und unter Erhaltung der Freiheit zu verinnerlichen.
Es liegt also an uns. Entweder entfalten wir freiwillig die saturnischen Tugenden in unserem Inneren und überflügeln damit das Schicksal, oder die Welt verwandelt sich in einen Kerker, in welchen wir dasselbe in Ketten verwirklichen werden. Oriphiel ist der Erzengel, der uns stets hilft, uns auf das zu konzentrieren, was im Leben das Essentielle ist; nämlich das, was den Tod überdauert. Er ist der große Einweiher. Für jene aber, die nichts von den letzten Dingen des Menschseins wissen wollen, bedeutet er einen strengen Richter.
Mumford, L.: The Myth of the Machine.New York, Hartcourt, 1967.
Páleš, E: Seven archangels. Rhythms of Inspiration in the History of Culture and Nature. Sophia, Bratislava, 2009.
Páleš, E.: Angelologie der Geschichte. Synchronizität und Periodizität in der Geschichte. Erweiterte zweite Auflage in tschechischer Sprache. Sophia, Bratislava, 2004.
Páleš, E., Mikulecký, M.: Periodisches Auftreten von großen Historikern in der Geschichte der Alten Griechen, Roms und China. Acta historica posoniensia, Philosophische Fakulät der Komensky Universität, Bratislava, 2004.
Páleš, E., Mikulecký, M.: Der Rhythmus in der Geschichte der byzantinischen Geschichts- schreibung. Acta historica posoniensia, Philosophische Fakultät der Komensky Universität, Bratislava, 2004.
Steiner, R.: Die Polarität von Dauer und Entwicklung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit. Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1983.