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Moderne Anthropologie und die uralte Lehre von den Geistern der Zeit

Emil Páleš
(Die Christengemeinschaft, Februar 2002)

Es ist eine wohlbekannte, aber unerklärte Tatsache der Anthropologie, dass das Wachsen der Kultur nicht gleich­mä­ßig erfolgt, sondern in Wellen vor sich geht. Die großen Persönlichkeiten, die Genien in jedem Zweig der Kunst und Wissenschaft zeigen sich nicht einzeln, sondern in ganzen „Sternbildern,“ in Gruppen. Denken wir nur an die Meister der klassischen Musik: Mozart, Paganini, Beethoven waren Zeitgenossen! Oder das große Sternbild der Maler der Renaissance: Michelangelo, Leonardo, Tizian.

Der Wellencharakter der Kultur lässt sich offenbar nicht erklären mit Hilfe der Genetik, denn dieselben Talente hätten dann auch die Vorväter dieser Persönlichkeiten haben müssen, sowie auch ihre Nachkömmlinge. Deswegen sucht nun die Mehrzahl der Anthropologen die Ursachen dieses Aufsprießens der Schöpferkraft im gesellschaft­li­chen Umfeld der betreffenden Kultur.

Der Einfluss des Umfeldes ist jedoch ausgeschlossen in Fällen, in denen deutliche Erscheinungen vergleichbarer Art gleichzeitig an zwei oder mehreren Stellen der Erde auftreten, ohne gegen­sei­ti­gen Kontakt. Das bekannteste Beis­piel solcher Parallelerscheinungen ist die „axialeEpoche“, die Karl Jaspers entdeckt hat: Zwischen 600 und 300 v. Chr. erschienen die großen Religionsgründer und Philosophen fast zeitgleich in China, Indien, Persien, Israel und Griechen­land: Laotse, Konfucius, Buddha, Dshina, Zarathustra, Jeremias, Daniel, Pythagoras, Sokrates, Platon, Aristoteles.... Sie wussten nichts von einander, und trotzdem lehrten sie vergleichbare Gedanken! Hundertfünfzig Jahre lang konnte kein Wissenschaftler eine annehmbare Hypothese darüber vorschlagen, wie das möglich ist!

Die Stiftung Sophia/Bratislava widmete nun der Untersuchung paralleler und rhythmischer Erscheinungen in der Geschichte ein vierjähriges Forschungsprojekt. Wir haben festgestellt, dass es möglich ist, von der Steinzeit bis zum heuti­gen Tage Dutzende solcher paralleler oder synchroner Erscheinungen aufzuzeigen in der Geschichte der Kunst­stile, der sozialen Formen und der gedanklichen Strömungen. Im Rahmen des materialistischen Wissenschafts­sys­tems gibt es dafür keine Erklärung. Und vor allem: Diese synchronen Wellen erhöhter Kreativität in ver­schie­de­nen Zwei­gen der Kultur wiederholen sich in bestimmten Rhythmen und bilden dadurch ein System.

Die größte Überraschung ist es, dass dies System, das sich empirisch in der Geschichte sichern lässt, schon jahr­tau­sendelang bekannt ist. Es gründet sich auf Rhythmen von 354 und 72 Jahren, die schon bekannt waren in mittel­alter­lichen Europa, ja in der Antike und die zurückreichen bis zum babylonischen Kalender, der am Anfang der histo­rischen Zeit benutzt wurde. Eine Handschrift des Abtes Johannes Trithemius aus dem Jahre 1508 spricht von den sieben Erzengeln, die sich alle 354 Jahre abwechseln als die Geister der Zeit. Alle 354 Jahre inspiriert ein anderer von ihnen die geistige Atmosphäre der Welt.

Tatsächlich: Das Auftreten der bedeutendsten Ärzte in der Geschichte wie Hippokrates, Galenus, Avicenna, Cha­ra­ka fällt in die Zeit des Erzengels Rafael, der traditionell der Schirmherr der Medizin ist. Die Zeiten der größten Ent­deckungen in der Mathematik fallen zusammen mit den Epochen des Erzengels Zachariel, der nach der Tradition schon Abraham in der Mathematik unterrichtete. Die größten Dichter der Welt und die Komponisten erschienen unter den Flügeln Anaels, der geistigen Intelligenz der Venus, und diegrößten Philosophen wurden inspiriert von Michael, dem Erzengel der Sonne. DieGeschichtsschreibung blüht besonders im Zeitalter des Oriphiel und die Schau­spielkunst in dem des Gabriel – ganz wie es den Attributen dieser geistigen Wesen im Mythos entspricht!

Nun zeigten sich auch schon die ersten Versuche, die Unrichtigkeit dieser Entdeckungen nachzuweisen. Die Oppo­nenten schlugen vor, man solle sie, um einer subjektiven Vorauswahl der geschichtlichen Fakten vorzubeugen, ver­gleichen mit unabhängigen Studien, die schon vorher durchgeführt worden sind. Ausführliche Studien zur Dy­na­mik der Kulturen wurden besonders unter der Führung zweier renommierter Wissenschaftler durchgeführt: unter dem amerikanischen Anthropologen Kroeber und dem russischen Soziologen Sorokin. Die von ihnen aufgestellten Kur­ven des kulturellen Wachstums bestätigten stark unsere Schlussfolgerungen.

Wenn wir uns bewusst machen, dass der erforschte Rhythmus schon den sumerischen Priestern ganz am Anfang der Geschichte bekannt war, lange bevor sich auf der Erde alle diese geschichtlichen Ereignisse abspielten, hat diese Erkenntnis über die rhythmische Struktur der Zeit nicht nur den Wert einer nachträglichen Spekulation ad hoc, sondern den Wert einer Vorhersage, die sich jetzt, nach 5000 Jahren historischer Entwicklung, als richtig erweist!

Die Tatsache, dass die bedeutendsten Kulturwellen in der Geschichte vorausgesagt worden sind, muss nicht der mensch­lichen Freiheit widersprechen, wenn wir zugeben, dass die menschlichen Geister ihre Verkörperungen plan­voll einrichten im Zusammenspiel mit den großen kosmischen Intelligenzen, die ganze Kulturepochen inspirieren, wo­durch in der Geschichte nicht Chaos wirkt, sondern System. Unausweichliche Schlussfolgerung daraus ist es aber, dass der Mensch nicht nur Ergebnis zweier Faktoren – nämlich Genetik und Umwelt - ist, sondern mindestens dreier: der Genetik, der Umwelt und seines eigenen geistigen Ich, das sich seine Eltern auswählt, und die Umwelt, in die es hineingeboren wird, ebenfalls. Das ist ein ernster und fundamentaler Aufruf an alle heutigen wissen­schaft­lichen Vorstellungen über den Menschen, an Anthropologie, Soziologie, Psychologie, Biologie und an die ganze materialistische Wissenschaft. Wie wird ihre Antwort sein?